Damals waren es die Juden …
Heute sind es dort die Schwarzen, hier die Studenten …
Morgen werden es vielleicht die Weißen, die Christen oder die Beamten sein …
Diese Worte setzt Hans Peter Richter seinem Jugendbuch „Damals war es Friedrich“ voran, in dem er schildert, wie zwei Jungen im selben Haus aufwachsen und in dieselbe Schule gehen. Jeder wird als einziges Kind von verständnis- und liebevollen Eltern erzogen. Doch Freidrich Schneider ist Jude, und nach und nach wirft der Nationalsozialismus seine Schatten über ihn und seine Eltern. Und Selbst Friedrichs Freund kann ihm immer weniger zur Seite stehen, da er selbst die Machtlosigkeit erlebt, die durch Zwang und Gewalt ausgelöst wird. Nach und nach gleitet die Geschichte aus einer scheinbar heilen Kinderwelt, in der die beiden Knaben die Zeichen der Zeit noch nicht verstehen, in ein unfassbares Dunkel.
Lange her? Weit weg? – Ich denke nicht.
In diesen Tagen verlegt der Künstler Gunter Demnig wieder einmal Stolpersteine – diesmal in der Juttastraße, dort, wo einstmals das Gebetshaus der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Vechta stand. Zuletzt war es auch Wohnhaus der Familie Marx. Stolpersteine gegen das Vergessen. Glänzende Würfel, eingelassen im Grau oder Rot der Pflasterung, auf denen das Schicksal der Verfolgten und Vertriebenen Vechtaer vermerkt ist. Gegen das Vergessen. Unangenehm. Hell stechen sie ins Auge des Vorübergehenden. Die Alten erinnern sich an ihr eigenes Jungsein, die Jungen werden konfrontiert mit der Geschichte, die auch die Geschichte ihrer eigenen Vorfahren ist. Einige wundern sich. Antisemitismus in Vechta? Das kennen sie nur aus den Schulbüchern und dem Geschichtsunterricht; das gabs doch nur in Berlin, vielleicht in Hamburg oder Köln, in großen Städten eben. — Auschwitz, Majdanek, Sobibor, aber auch eben Bergen-Belsen, Dachau, Flossenbürg. Nicht alles war so weit weg, wie man es gerne gehabt hätte. Auch in Vechta gab es Antisemitismus.
Und nicht alles ist so weit weg, wie wir es heute gerne hätten. Denn die Mechanismen von damals sind auch die Mechanismen von heute. Wir suchen uns oft Minderheiten, an denen wir unsere Überheblichkeit auslassen können. Machen wir uns also nichts vor. Halten wir doch beim nächsten Gang durch die Stadt kurz inne an den Stolpersteinen; verzögern wir doch unseren Schritt und denken wir einmal nach:
Damals waren es die Juden …