Andreas Kathe bringt es in der OV vom 14.05. 2011 auf Seite 6 auf den Punkt: „Wichtig ist nur noch, wer auffällt“. Sind wir auf dem Weg in eine ungehemmte und „wertlose“ Spaßgesellschaft, die zudem auch noch von denen dominiert zu werden scheint, die keine Werte vermittelt bekommen haben oder sich bewusst darüber hinwegsetzen? Das Beispiel mit dem Einkaufswagen, in dem sich junge Leute durch die Gegend schieben, wirft eine weitere Frage auf: Wo sind die couragierten Menschen, die sich einem solchen Verhalten entgegenstellen könnten? Sie haben sich offensichtlich in den meisten Fällen bereits dem neuen Verhalten gebeugt und gehen resigniert und kopfschüttelnd vorbei. Ist ja auch verständlich, wenn man die Schlagzeilen in der Presse verfolgt, wo immer wieder berichtet werden muss, wohin Zivilcourage führen kann – schlimmstenfalls auf den Friedhof. Mein und Dein sind keine Werte mehr, man nimmt sich, wonach einem ist.
Die Liste wäre endlos fortzusetzen, denn sie gilt auch für Ver- und Gebote, sei es im Straßenverkehr, im Freibad, beim Jugendschutz, beim Finanzamt, in der Politik – wo auch immer – es wird getrickst, geschoben, betrogen, abgeschrieben und und und. Es wäre falsch, die Ursachen für ein solches Verhalten immer so weit weg zu suchen, denn Wertesysteme werden nicht nur erhalten, indem man sie schriftlich fixiert – sie werden tradiert, indem man sie vorlebt. Mit gutem Beispiel vorangehen – darin liegt das große Geheimnis einer gesellschaftlichen Ordnung. Auch dazu gehört Mut, denn all zu oft macht man sich damit des Spießertums verdächtig. Und wer will sich schon gerne mit so einem negativ besetzten Urteil konfrotiert sehen?
Zu Zeiten, als es noch kaum Fernseher gab, vom Internet ganz zu schweigen, da waren Werte ein Gut, das auch durch Sprichwörter weitergegeben wurde:
- Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
- Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.
- Wie man sich bettet, so liegt man.
- Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.
- Lügen haben kurze Beine.
Kaum einer der jungen Generation kennt diese Sprichwörter heute noch, noch kann er sie in seiner Bedeutung entschlüsseln. Im Gegenteil: Wenn sie zitiert werden, dann in einer verhunzten Variante, die genau das zu belegen scheint, was man mit Werteverfall und Spaßgesellschaft bezeichnen könnte:
- Was du nicht willst, das man dir tu, das will auch ich, was willst denn du?
- Wie man sich bettet, so schallt es heraus.
- Wer andern eine Grube gräbt, der hat ein Grubengrabgerät.
Werte? Mitnichten. Unsinn! Leichtlebigkeit. Spaß. Und im Internet findet man Gleichgesinnte. Man fühlt sich gut aufgehoben im Kreis der sozialen Netzwerke. „Gefällt mir“ klicken und ich habe „Freunde“. Die Wahrheit interessiert nicht mehr, der Schein ist das, was ankommt, unkritisch gesehen und weitergegeben wird. Mehr scheinen als sein – das ist die Devise.
Dazu gehört auch die von Herrn Suffner in der gestrigen Ausgabe kritisch hinterfragte Feierkultur. Die in der heutigen OV-Ausgabe abgedruckten Facebook-Kommentare zu Mottotagen (S. 19) machen dies deutlich:
- Gönnt den jungen Menschen doch mal den Spaß …
- Wenn es den Schülern gefällt, warum nicht?
- Ich denke, dass man den Schülern auch mal eine Woche Spaß gönnen sollte …
- Warum also verbieten? Das ist doch kleinkariert.
- … das Bild eines bornierten, eintönigen und spießigen Schulkomplexes …
- JAA! Die sind Kult!!
Fällt Ihnen etwas auf? Spaß steht im Vordergrund. VOR dem Abitur – in der heißen Phase letzter Vorbereitungen zu den Prüfungen, VOR der Zulassung zu den Prüfungen sogar. Georg Rosenbaum formuliert es in seinem Facebook-Kommentar so:
Abitur ist ein ganz besonderes Ereignis, an dem die Spaßkultur mal unterbrochen werden darf. Erst später wird man sich über die Wichtigkeit dieses Moments im Leben bewusst.
Wie unsinnig Spaß um jeden Preis ist, wird vielleicht deutlich, wenn man sich einmal fragen würde:
Wer ist so verrückt, dass er einen Olympiasieg (Abitur) ausgelassen feiert, wenn er noch darauf spart, sich Schuhe für den Trainingsbeginn (Zulassung zum Abitur) leisten zu können?
Und auch beim Abdruck der Facebook-Kommentare hat die Presse irgendwie wieder ein kleines Stück dazu beigetragen, dass den Spaßargumenten viel Raum gewährt wird. Die wahren Gründe für die Regelungen an der besagten Schule sind nicht bekannt und interessieren die Kommentatoren auch gar nicht. Das Urteil ist klar: borniert, eintönig und spießig.
Dann soll es so sein: Dann bin ich gerne borniert, eintönig und spießig.
(Raimund Schulte)