Orientierungslosigkeit in der Politik

Andreas Kathes Standpunkt in der OV vom 28.05.2011 auf S. 6 zeigt das Dilemma, in dem die Gesellschaft in diesen Jahren zu stecken scheint. „Die Menschen suchen Glauben, Hoffnung, Orientierung“, heißt es dort in der Überschrift seiner Glosse. Ich beschränke mich hier auf die Ausführungen zur Politik, die er macht.

Politik sei nicht mehr eindeutig zuzuordnen, denn es werde nicht mehr klar, wofür die einzelnen Parteien noch stehen. Wenn die CDU ihr familienpolitisches Weltbild kippe, die SPD ihr Profil als Arbeitnehmerpartei verliere, dann müsse sich niemand wundern, dass die Wähler wanderten. (…) Diese Form, es allen recht machen zu wollen, niemals nirgendwo anzuecken und möglichst geliebt zu werden, sei nun genau nicht sinnstiftend, nicht demokratisch, so A. Kathe.

Er hat sicherlich recht, denn die Jagd nach Stimmen bei Wahlen hat die Grenzen verwischen lassen zwischen Schwarz, Rot, Grün und Gelb. Man erinnere sich an die Wahlprogramme VOR den Grünen. Ökologie war fast ein Fremdwort, Umweltschutz eine theoretische Größe. Wachstum, Profit und Expansion waren die Götter. Und plötzlich stellte die Ökobewegung andere Werte in den Mittelpunkt des Denkens. Als Reaktion nahmen die alten Parteien Themen der Grünen auf, um eine Abwanderung von Wählern zu verhindern. Das ist traditionelles Denken seit jeher. Otto v. Bismarck, erster Reichskanzler von 1871 bis 1890, sagte einst: „Wenn der Arbeiter keinen Grund mehr zur Klage hätte, wären der Sozialdemokratie die Wurzeln abgegraben.“ – Und dann setzte er sich für die Einführung einer ersten Sozialgesetzgebung ein. – Aufnahme von Themen des politischen Gegners, um Wähler abzuziehen. Alles nichts Neues.

So einfach scheint es dann doch nicht zu sein, dass die Lösung in einer Polarisierung und Lagerbildung liegt. Politik beginnt in den Kommunen vor Ort, in den kleinsten Einheiten unseres föderalistischen Gemeinwesens. Und schauen wir auf Vechta, so kann man nun wirklich nicht sagen, dass es hier vor Ort in der Vergangenheit zu massiven Wanderungen bei den Wählern gekommen sei. Hier ist die CDU traditionell mit sehr hohen Stimmenanteilen vertreten. Und dennoch geht die Wahlbeteiligung zurück. Das lässt sich nicht damit erklären, dass die Konturen der Volksparteien verwischen.

Ich fürchte, es liegt vielmehr daran, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger nicht mehr beteiligen wollen an Machtgerangel und persönlichen Diffamierungen, dass sie die Nase voll haben von abgehobenen und nicht nachvollziehbaren Diskussionen. Sie bemerken mehr und mehr, dass sie Stimmvieh sind, das alle 5 Jahre zur Urne gelockt und danach wieder vergessen wird. Sie verweigern sich einer Politik der Taktik und Parteidisziplin, die mehr auf Machterhalt und scheinbare Geschlossenheit abzielt als auf Sachorientierung und Problemlösung.

Wenn es die Politik schaffen kann, die Bürgerinnen und Bürger wieder ernster zu nehmen, sie mehr und stärker in Entscheidungsprozesse einzubinden, dann wird auch die Beteiligung bei Wahlen wieder steigen. Und wenn es dann noch gelingt, einer Sache den Vorrang vor Macht und eigener Eitelkeit zu gewähren, dann sind auch Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit der Politiker wieder Werte, die Orientierung bieten, die den Bürgerinnen und Bürgern Halt geben und die zu einer neuen Verlässlichkeit führen können.

(Raimund Schulte)

3 Gedanken zu „Orientierungslosigkeit in der Politik

  1. vechtaer

    @ Phillip: Das „Desinteresse“, was du den Leuten teilweise unterstellst, kann ich nicht bestätigen, und das ist auch statistisch belegbar: In Universitätsstädten (also meist eher wohlhabenden und gebildeten Gebieten) sieht die Wahbeteiligung nicht anders aus als in anderen Städten (in Bremen ist nur knapp jeder 2. zur Wahl gegangen!). Angesichts dieser Tatsache kann man keine ausschließlich repräsentative Demokratie durchführen – da mindestens 50% der Bevölkerung gar nicht erst repräsentiert werden, einige an der 5%-Hürde kleben bleiben, oder die gewählte Partei so tief in der Opposition steckt, dass sie im Regierungsprozess im Grunde gar nichts zu melden hat – und so sind die „vom Volk gewählten Regierungen“ nur noch die „von 25% des Volkes gewählten Regierungen“ – und wenn 25% das Sagen haben, nenne ich das undemokratisch..

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  2. Philipp

    Meint ihr wirklich, dass es so ist? Das ist jetzt nicht persönlich gemeint, aber ich glaube kaum, wenn man den „gemeinen Nichtwähler“ befragt, dass der dann sein Nichtwählen damit begründet, dass er sich als „Stimmvieh“ sieht. Das eigentliche Problem ist doch wirklich gesellschaftlich begründet: Neben unserem auswuchernden Ego- und Hedonismus ist doch kaum noch Platz für Politik, wenn man sich daran nicht emotional aufladen kann. Frei nach dem Spruch: „Läuft doch.“
    Es ist ja schön, dass ihr euch dafür einsetzen wollt, das der Bürger immer und überall mit einbezogen wird, aber angesichts einer solchen Interessenkultur muss man sich fragen, ob man damit wirklich repräsentative Ergebnisse oder mehr Schein als Sein erzeugt.

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    1. Pressesprecher Autor

      Danke, Philipp, für deinen Kommentar. Zunächst einmal möchte ich richtig stellen, dass das in erster Linie meine Meinung ist (darum habe ich das auch unter ‚Mitgliedermeinungen‘ abgelegt und zusätzlich namentlich kenntlich gemacht). Zu deinen Ausführungen möchte ich allerdings sagen, dass es schon zur verbreiteten Meinung gehört, wenn Bürgerinnen und Bürger sagen: „Die machen ja doch, was sie wollen. Das waren vor Wochen eben nur alles Wahlversprechen – davon bleibt so gut wie nichts am Ende.“ Und ganz ehrlich – wovor sollte man denn Angst haben, wenn mehr Bürgerinnen und Bürger bei Entscheidungen beteiligt werden? Gerade auf kommunaler Ebene glaube ich kaum, dass die gewählten Vertreter – egal, welcher Partei sie auch immer angehören mögen – um so viel weiser und gescheiter sind als viele der sie Wählenden. Beteiligung heißt auch, Macht abgeben zu können. Es geht ja nicht darum, sich einmal die Woche auf dem Stoppelmarktgelände zu treffen und dann lauthals abzustimmen. Es geht darum, den Bürgerinnen und Bürgern auch nach den Wahlen ihre Wichtigkeit zu dokumentieren und sie mit ins Boot zu nehmen. Daran werden wir arbeiten und dieses Ziel werden wir auch nicht aus den Augen verlieren (und hier spreche ich nun wieder für alle Mitglieder unserer Wählerinitiative).

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