In der Ausgabe vom 14.6.2011 druckt die OV ein Interview mit Professor Peter Nitschke ab, Politikwissenschaftlier an der Uni Vechta. Unter dem Titel „Heute ist Lady Gaga wichtiger als Merkel“ macht sich der Professor Gedanken zur Politikverdrossenheit bei den Bürgerinnen und Bürgern und sucht nach Lösungen für dieses Problem.
Frage: Welche Konsequenzen sollten die Parteien daraus ziehen? (Gemeint ist die Tatsache, dass Grenzen verwischen und Bürger nicht mehr genau wissen, zu welcher politischen Richtung sie neigen bzw. gehören.)
Nitschke: Parteien neigen dazu, sich abzukapseln. Wie werden zum Beispiel Kandidaten aufgestellt? Entscheidet wirklich die Parteiversammlung oder ist das Ganze nicht schon vorher ausgeküngelt? Oder herrschen Parteistrukturen vor, die es Quereinsteigern schwer machen und eigentlich sollten die doch ermutigt werden mitzumachen.
Unser Kommentar: WirFÜRVechta tut genau dies! Unsere Kandidaten für die bevorstehende Kommunalwahl wurden in einer Mitgliederversammlung von den Mitgliedern ohne vorherige Absprache und ohne „Geklüngel“ gewählt. Die Mitglieder, die zur Kandidatur bereit waren, haben sich in einem kurzen Statement den Anwesenden vorgestellt. Bei der Wahl aber hatten die Mitglieder das Sagen, wen sie von den möglichen Kandidaten auf welchem Platz ins Rennen schicken wollten. — Quereinsteigern wird es bei uns ebenfalls leicht gemacht. Bei unserer letzten Wahl des Vorstandes wurde ein Neumitglied, ein Jugendlicher, der damals gerade einmal zwei Monate in der Wählerinitiative war, mit in den Vorstand gewählt. Wir hatten die Botschaft von Herrn Nitschke verstanden, bevor sie in der OV stand, denn für uns ist es selbstverständlich und wichtig, genau hier anzusetzen, um einer Verdrossenheit entgegenzuwirken.
Im Interview heißt es weiter:
Frage: Könnte nicht schon in der Schule mehr Lust auf Politik gemacht werden?
Nitschke: Bei uns in den Gymnasien wird Politik erst ab Klasse acht unterrichtet und zwar zwei Stunden in der Woche. Nach Klasse zehn kann das Fach wieder abgewählt werden. Im Vergleich zu anderen Fächern spielt Politik also eine völlig untergeordnete Rolle.
Unser Kommentar: Die Schulen können nicht reparieren, was auf anderen gesellschaftlichen Ebenen beschädigt wurde – nicht in zwei Stunden und nicht in vier oder sechs Stunden. Einerseits wird die Individualisierung der Kinder und Jugendlichen bemängelt (hiergegen könnte man auch die Sportvereine und Familien aufrufen und nicht die Schulen), andererseits ist Politik immer mehr zum Geschäft von Juristen geworden. Die Zusammenhänge sind komplexer, die Verrechtlichung intensiver geworden. Wenn Politik in Klasse acht beginnt, dann mit Schülerinnen und Schülern, die 14 Jahre alt sind. Dieses Alter muss man schon haben, wenn man Zusammenhänge nachvollziehen und verstehen will. Daher würde eine Vorverlagerung des Einstiegs in das Fach wenig bringen. Wir stimmen allerdings darin überein, dass Politik länger und intensiver bis in die Oberstufe des Gymnasiums unterrichtet werden könnte. Doch auch hier die Frage dann: Welches Fach sollte man dafür kürzen oder gar ganz abschaffen? Auf die Diskussion wären wir dann gespannt.
Freie Wählergruppen haben Zulauf. Das hängt nicht am Umfang des Schulunterrichts. Das hat etwas mit anderen Werten zu tun. Das hat etwas zu tun mit Unmittelbarkeit, Direktheit. Und vielleicht hat es auch damit zu tun, dass diese unabhängigen Wählerinitiativen den Finger mehr und mehr in Wunden legen, die im Laufe einer langen und vor allem unkritischen Entwicklung gerissen wurden. Lange, ja, viel zu lange haben sich die sogenannten Volksparteien zurückgelehnt, sich mehr und mehr selbst beweihräuchert und vergessen, woher sie ihre Legitimation bekommen. Damit kann man keine Neuwähler gewinnen und die Jugendlichen suchen sich neue Idole. Dann hat Lady Gaga das Rennen gemacht und Merkel schaut in die Röhre. Was wir brauchen in der Politik, das sind nicht die Dinosaurier, das sind Perönlichkeiten, die für neue (eigentlich alte) Werte stehen, das sind feste Orientierungshilfen und keine Wendehälse (wie z.B. in der Atompolitik), das sind Menschen, für die Versprechen (auch Wahlversprechen) noch Versprechen sind, das sind Personen und Persönlichkeiten, für die Ehrlichkeit (auch bei Doktorarbeiten) keine leere Worthülse ist und interpretiert werden kann, je nach Laune. Und das, Herr Professor Nitschke, ist keine Frage von mehr Poltikunterricht in der Schule. Wer Lady Gaga vorzieht, der lässt sich faszinieren vom Tand und Glamour, von einer Traum- und Phantasiewelt. Und so gesehen sind Merkel und Gaga gar nicht so weit auseinander.