Die Schönrechner

Wie die Mehrkosten für die Entlastungsstraße Vechta West verschleiert werden

Zugegeben, die Materie ist etwas kompliziert. Aber es lohnt sich trotzdem, diesen Artikel gründlich und bis zum Ende zu lesen. Wer das tut, wird sich fragen, warum sich die meisten Stadträte selbstzufrieden auf die Schulter klopfen, obwohl die Realität die ursprüngliche Finanzplanung längst überholt hat und der anfangs angenommene Eigenfinanzierungsanteil der Stadt sich – inzwischen auch offiziell eingeräumt – mehr als verfünffacht hat. Ein Lehrstück in Sachen Selbstbetrug, Schönrechnen und Augenwischerei. Versuchen wir einmal, den Wirrwarr und das Versagen der Politik zu klären:

Am Anfang stand eine gemeinsame Annahme der drei hauptsächlich an der Planung beteiligten Parteien, der Stadt Vechta, der Deutschen Bahn AG und des Bundes. Diese drei einigten sich auf eine sogenannte „Fiktivplanung“, nach der die Gesamtkosten der Entlastungsstraße sich auf knapp über 12 Millionen € belaufen würden. Jede Partei sollte ein Drittel der Kosten übernehmen, also ca. 4 Millionen. Die Stadt ging davon aus, dass sie noch Landeszuschüsse aus sogenannten GVFG-Mitteln (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz) für ihren Anteil erhalten würde, so dass am Ende 10,4 Mio. an Zuschüssen fließen und 1,6 Millionen aus eigener Tasche zu finanzieren sein würden.

Wie kam diese fiktive Summe von 12 Millionen zustande? Grundlage des Vertrags ist das sogenannte Eisenbahnkreuzungsgesetz, welches den Ersatz ebenerdiger Bahnkreuzungen durch höhenungleiche vorsieht, also Über- oder Unterführungen. Die Kosten werden zwischen Bahn, Bund und Kommune zu gleichen Teilen aufgeteilt. Nun kann eine Kommune aber nicht einfach drauflos planen, sondern muss den Grundsätzen sparsamer Haushaltsführung entsprechen. Also wurde die günstigste Planvariante zur Grundlage der Finanzierungsvereinbarung gemacht. Diese beruhte auf einer inzwischen überholten Streckenführung und einer einfachen Brücke über den Bahnkörper, entsprechend der ersten Pläne aus den Jahren 2002 bis 2004. Für diesen Bau hätten dann 12 Mio. € vermutlich sogar ausgereicht.

Bereits vor Vertragsabschluss aber waren zwei Dinge klar. Erstens: Aufgrund des Widerstands in der Bevölkerung und städtebaulicher Überlegungen kam eine solche „Hochstraße“ nicht in Frage, sondern musste eine aufwändigere Lösung einkalkuliert werden (Übrigens: Diese Variante hätte ein Wohngebiet zerschnitten und wäre an den Terrassen der Grundstücke zwischen August-Wegmann-Straße und Theodor-Tantzen-Straße entlanggeführt worden). Zweitens: Die Bahn würde die Schließung eines zweiten Bahnübergangs zusätzlich zur Falkenrotter Straße fordern und dabei die Paulus-Bastei favorisieren, denn der Unterhalt dieses Übergangs ist ziemlich kostenintensiv. Aufgrund des Versprechens, das die CDU den Bewohnern des Vechtaer Stadtwestens gegeben hatte (weiter bestehende Möglichkeit der Querung des Bahnübergangs), musste also auch dafür eine Ersatzlösung geschaffen werden. Jeder im Rat, der sich auch nur ansatzweise mit der Materie beschäftigt hatte, wusste also bereits lange vor der entscheidenden Abstimmung über die Kreuzungsvereinbarung eines haargenau: Die 12 Millionen sind nicht zu halten!
Schon in der Kreuzungsvereinbarung vom Mai 2010 war der Bau eines Trogbauwerks festgelegt und der Bau der Ersatzlösung an der Paulus-Bastei fiktiv mit einem Anteil von gut 18% einkalkuliert worden. Die Gesamtkosten dieser sogenannten „Ziellösung“ wurden auf 14,5 Mio. € geschätzt. Machte für die Stadt schon mal 2,5 Milionen zusätzlich, also insgesamt 4,1 Millionen. Anfang 2015 gab die Verwaltung gegenüber der Presse die Gesamtkosten mit etwa 17 Millionen € an. Damit hätte sich der städtische Eigenanteil noch einmal um 2,5 Millionen auf nunmehr 6,6 Millionen erhöht. Gegenüber dem Rat wurde aber bereits im Oktober 2014 die Zahl von 18,5 Millionen genannt.

grafik rechnung entlastungsstraße

Die Strategie ist klar: Die Wahrheit wird häppchenweise erzählt. Was noch fehlt, ist die endgültige Kostenrechnung, aktueller Stand 01.06.2015: 19,2 Millionen €. Die Endabrechnung wird laut Stadtverwaltung im Oktober bei voraussichtlich 19,6 Millionen € liegen, und zwar ohne die Kreisverkehre.

Solche Steigerungsraten sind für Projekte dieser Größenordnung durchaus nicht ungewöhnlich. Dumm nur, dass der gesamte zusätzliche Batzen sich nicht mehr auf die drei Beteiligten verteilt, sondern ausschließlich von der Stadt Vechta geschultert werden muss. Während die Gesamtkosten im Vergleich zur Fiktivplanung damit um „nur“ 57% stiegen, wuchs der Kostenanteil der Stadt auf 9,2 Millionen um satte 575%. Ursprünglich wurde der zu leistende städtische Eigenanteil vom CDU-Fraktionsvorsitzenden Dalinghaus in einer Ratssitzung als „Schnäppchen“ bezeichnet.

Woher rühren diese Kostensteigerungen? Sie seien laut Verwaltung unvorhersehbar gewesen. Hier nun ein Beispiel: Aufgrund der speziellen Grundwasserverhältnisse habe man über eine halbe Million € zusätzlich ausgeben müssen. Zumindest diese Tatsache war vorhersehbar, weil es sich hier um eine der nassesten Gegenden Vechtas handelt.

Spannend wäre es, die Höhe der Zusatz- und Ausgleichskosten im Zuge der notwendigen Grundstückstausche zu erfahren. Der dickste Brocken entfällt wohl auf die Überführung, welche die Zufahrt auf das Betriebsgelände der Firma Große Beilage anschließt. Sie verläuft parallel zu den Bahngleisen in Verlängerung der Gustav-Heinemann-Straße. Am aktuell diskutierten Bahnhofsumbau mit integrierter Anbindung der geplanten Überführung für Radfahrer und Fußgänger sollen sich ja Investoren beteiligen. Das klingt nett, ist aber auch geeignet, weitere Mehrkosten zu verschleiern.

Um die Jahreswende muss der Nachtragshaushalt beschlossen werden und dann werden die endgültigen Zahlen auf dem Tisch liegen. Wie lange können wir es uns leisten, Millionen von Euro ohne Sinn und Verstand in Stein und Asphalt zu gießen? Der altgriechische Philosoph Demokrit jedenfalls meinte, dass Ruhm und Reichtum ohne Verstand unsichere Besitztümer seien.

2 Gedanken zu „Die Schönrechner

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