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Pressemitteilung Februar 2016

Vechta braucht lebendige Ratsopposition

Neuer Vorstand von Wir FÜR Vechta nimmt Stellung zu „heißen Eisen“ der Kommunalpolitik

Auf der Mitgliederversammlung diskutierte der neue Vorstand der Unabhängigen Wählergemeinschaft die Schwerpunkte der Ratsarbeit im Jahr der Kommunalwahlen und darüber hinaus. Dabei wurde auf die Schwachpunkte der Politik der CDU und ihres Bürgermeisters verwiesen. Der bisherige Vorsitzende Carsten Bösing wird dem neuen Vorstand nach neun Jahren nicht mehr angehören. Ihm hätten vor allem die vielen lebendigen aber immer respektvoll geführten Diskussionen über „heiße Eisen der Kommunalpolitik“, wie z.B. der Zuzug von Flüchtlingen, große Freude bereitet. Eine regelmäßige Vorstandstätigkeit sei aber mit seinen beruflichen Aufgaben nicht mehr in Einklang zu bringen.

Der neue Vorsitzende Frank Hölzen berichtete, dass die Kosten für die Entlastungsstraße mittlerweile bei 19,6 Millionen Euro liegen. Der Finanzplan sei damit bereits um 6 Millionen überschritten. Hölzen wörtlich: „Wenn die CDU in ihrer ‚Stadt-Post‘ behauptet, der Finanzierungsrahmen sei eingehalten worden, dann sagt sie eindeutig die Unwahrheit! Kostensteigerungen um die 60% – ursprünglich waren einmal 13,6 Millionen veranschlagt worden- sind für Projekte dieser Größenordnung zwar nicht ungewöhnlich. Dumm nur, dass der gesamte zusätzliche Batzen ausschließlich von der Stadt Vechta geschultert werden muss. Deren ursprünglich kalkulierter Eigenanteil von 1,6 Millionen liegt inzwischen bei 9,2 Millionen, hat sich also fast versechsfacht.“ Die neue Verkehrsführung habe keinerlei Zeitersparnis für den Durchgangsverkehr erbracht. Stattdessen würden die Bewohner des Stadtwestens vom Zugang zur Stadtmitte zunehmend abgeschnitten: „Diese Separation wird sich nach Schließung der Paulus-Bastei noch wesentlich verschärfen!“

Horst Bojes als stellvertretender Vorsitzender sprach sich für eine Stärkung der Bürgerbeteiligung aus: „Bürgerentscheide sollten nicht nur erleichtert, wie es die rot-grüne Landesregierung plant, sondern aktiv gefördert werden. Vor allem konservative Politiker betrachten Bürgerbeteiligung noch immer als lästiges Verwaltungshemmnis.“ Marc Blömer, der neue Schriftführer, pflichtete ihm bei: „Neben den bewährten parlamentarischen Strukturen müssen wir v. a. auf kommunaler Ebene Elemente direkter Demokratie weiter entwickeln. Sie sind als gleichberechtigte Formen politischer Willensbildung anzuerkennen.“

Dieter Rehling, künftig für die Finanzen des Vereins verantwortlich, bemängelte, dass der Bau von Wohnungen bisher am Markt vorbei geplant worden sei. Für den überwiegend hochwertigen Wohnraum werde es schwieriger, Abnehmer zu finden. Dagegen habe sogar die Landesregierung vor einer Versorgungslücke im unteren Preissegment gewarnt. „Die Schaffung von lediglich sechs Wohnungen mit einer zehnjährigen Mietfestlegung auf dem Hagen“, so Rehling, „ist reine Kosmetik.“ Immerhin seien die Verantwortlichen jetzt endlich aufgewacht: „Man kann nur hoffen, dass weitere Projekte zum sozialen Wohnungsbau in Langförden, Telbrake und Stukenborg bedarfsgerechter dimensioniert werden.“

Der scheidende Vorsitzende Bösing betonte abschließend, dass die Stadt Vechta dringend eine lebendige Oppositionsarbeit brauche: „Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns, Probleme auch deutlich beim Namen zu nennen. Der Gewinn eines 2. Ratsmandats ist unser Ziel!“

Meinungsaustausch zur Flüchtlingskrise

Bei Wir FÜR Vechta befassen wir uns normalerweise mit herkömmlicher Kommunalpolitik, aber in der letzten Zeit diskutieren wir oft über die gegenwärtige Flüchtlingskrise, so auch am 15.Oktober, als sich unser Ratsvertreter Frank Hölzen, der Vereinsvorsitzende Carsten Bösing und Horst Bojes, Mitglied des erweiterten Vorstands, trafen. Es wird schnell deutlich, dass auch der Landkreis und die Stadt Vechta sehr gefordert sind und noch mehr sein werden. Die Meinungen gehen ziemlich auseinander und spiegeln somit auch die öffentliche Debatte zu diesem Thema wider.
Bösing: Frank, du bist gegen die Flüchtlingspolitik von Frau Merkel. Was hast du für ein Problem damit?
Hölzen: Also, ich denke mir, dass es auf der einen Seite moralisch-menschlich geboten war, die Grenze für den großen Flüchtlingsstrom aus Ungarn Anfang September zu öffnen, weil die da in einer Sackgassensituation steckten. Auf der anderen Seite hatte diese Maßnahme eine gewaltige Sogwirkung bis in die Flüchtlingslager des Nahen Ostens hinein. Somit kommen viel zu viele Leute auf einmal. Dagegen können wir nicht an organisieren. Und wir haben keine Kontrolle mehr über den Zustrom.
Bojes: Ich bin der Meinung, wenn wir schon eher damit angefangen hätten, alle Wirtschaftsflüchtlinge abzuschieben, dann wäre es gar nicht dazu gekommen, dass unsere Kapazitäten überfordert werden. Außerdem: Im Landkreis Vechta leben zur Zeit 1000 abgelehnte Asylbewerber, und das seit Jahren!
Bösing: Deine Argumentation, Frank, ist doch nicht schlüssig: Du hast selbst gesagt, dass Merkel in der Ungarnkrise nicht anders hätte handeln können. Dann kannst du ihr das ja nicht zum Vorwurf machen. Im Übrigen: Die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge machen gegenwärtig nur 8% der Flüchtlinge aus. Die allermeisten kommen aus Syrien, Afghanistan und Eritrea, wo im Moment Krieg bzw. Bürgerkrieg herrscht.
Hölzen: Nach der Rettung der Ungarn-Flüchtlinge hätte Merkel den Deckel drauf machen müssen. Jetzt schicken wir täglich Sonderzüge nach Österreich, um die Wartenden abzuholen. Was ist das denn für ein Signal? Ich gestehe dir zu, dass wir in einem moralischen Dilemma stecken mit den vielen Notleidenden. Aber die Politik hat nicht nur Verantwortung für Kriegsopfer aus Syrien, sondern auch für diejenigen, die in Deutschland von Armut und Wohnungsnot betroffen sind! Somit war es politisch ein Fehler. Außerdem hat sich die Bundesregierung nicht an geltendes EU-Recht gehalten, wie es sich im von Deutschland selbst initiierten Dublin-Abkommen widerspiegelt. Daher ist es von Frau Merkel auch verlogen, nun europäische Solidarität einzufordern.
Bojes: Was jetzt passiert, ist, dass die Rechten, die schon fast am Ende waren, wieder Zulauf bekommen, bis hin zu so abenteuerlichen Verschwörungstheorien von der angeblich geplanten Zerstörung Deutschlands durch IM Erika (=Merkel). Den Aufwind für die Rechten durch ihre Flüchtlingspolitik hätte die Kanzlerin vorhersehen müssen.
Bösing: Hat sie vermutlich auch! Und dennoch hat Merkel genau das getan, was geboten war, und tut das noch immer. Jedes Medikament hat Nebenwirkungen, trotzdem muss es verabreicht werden. Unvermeidliche Nebenwirkungen kann man dem Arzt bei einer Therapie nicht vorwerfen.
Hölzen: A propos Nebenwirkungen: Vor wenigen Tagen hat Sozialministerin Nahles gesagt, dass wir mit einer Million zusätzlicher Hartz-IV-Empfänger rechnen müssten und die Zahl der Analphabeten wird sich ebenfalls sprunghaft erhöhen. So betrachtet taugt wohl auch das Argument nur bedingt, dass wir wirtschaftlich von der Zuwanderung profitieren. Die gut Ausgebildeten sind schon länger da, aber die Menschen, die jetzt kommen, bringen häufig keine hohen Qualifikationen mehr mit. Übrigens: Sieben von zehn Flüchtlingen, die eine Ausbildung im Handwerk begonnen hatten, brachen diese wieder aufgrund diverser Schwierigkeiten vorzeitig ab.
Bojes: Und ich befürchte, dass die sozialen Verwerfungen zu einer erhöhten Kriminalitätsrate führen werden. Das wird unseren gesamten Alltag betreffen. Die jungen Männer aus den Krisengebieten sind mit Gewalt groß geworden, und wenn wir diese traumatisierten Menschen nicht schnellstens mit Arbeit versorgen können, mag ich mir nicht vorstellen, wie das auf Dauer für sie und uns enden soll.
Bösing: Vielleicht hast du Recht, Horst. Auch ich frage mich, ob die Konflikte in den Herkunftsländern, die dort zu Krieg und Terror geführt haben, hier nicht weiter wirken. Aber ich sehe nicht ein, dass unsere moralischen und politischen Entscheidungen nur von solchen Ängsten gesteuert werden. Ich schaue lieber auf die Chancen, die in der jetzigen Situation stecken: Überlegt doch mal, was für eine Zähigkeit und für ein Überlebenswillen in Menschen steckt, die es allen Widrigkeiten zum Trotz bis hierher geschafft haben. Das ist doch ein Potential, das wir für unsere Gesellschaft nutzen müssen!
Hölzen: Ich stimme dir zu, Carsten. Das Potential ist groß und wir müssten für die Menschen sofort Betätigungsfelder vorhalten. Haben wir aber nicht. Und dummerweise haben die Schlepper ihnen das Blaue vom Himmel versprochen. Die Enttäuschung über die Realität ist bei vielen dann umso heftiger.
Bojes: Die Erwartungen der Menschen werden immer größer: ‚Mutti‘ hat gesagt: „Ihr könnt alle kommen. Gut gemeint ist nicht gleich gut. Es kommt nicht viel dabei heraus, wenn man nur moralisch handeln will, aber den Verstand draußen lässt!
Hölzen: Ich habe noch eine weitere Sorge, Carsten. Der Konservatismus/Radikalismus innerhalb des Islam hat in den letzten Jahren stetig zugenommen und der Druck auf liberale Moslems, aber auch auf Christen wird dadurch immer stärker.
Bösing: Aber Frank, das kannst du doch nicht auf unsere Situation in Deutschland übertragen. Die Leute fliehen doch gerade vor Radikalität und sehnen sich danach, frei zu atmen.
Hölzen: Schön wär’s. Schau dir mal die vielen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge an. Die sind mutterseelenallein und fallen den Salafisten und anderen Heilspredigern in die Hände, weil sie dort eine Art Heimat wiederfinden. Außerdem könnten sich von Deutschland enttäuschte Flüchtlinge radikalisieren, wenn sie hier nicht das vorfinden, was sie sich erhofft hatten bzw. was ihnen versprochen wurde. Und: Der IS benutzt den Flüchtlingsstrom, um seine Kämpfer bei uns einzuschleusen. Dadurch, dass Flüchtlinge massenhaft reinkommen, ist das nicht zu kontrollieren.
Bojes: Dass wir Tausende nicht registrierter Flüchtlinge haben, ist ein dickes Problem. Und dann die ganzen ‚Trittbrettsyrer‘, die eine falsche Staatsangehörigkeiten angeben – hätte Merkel das alles nicht absehen können?
Bösing: Wer sich in Verschwörungstheorien ergeht, wird kein einziges der wirklichen Probleme lösen. Außerdem: Vergessen wir nicht, dass Hunderte junger Leute aus Deutschland in den Nahen Osten reisen, um ihr krankes Ego aufzupäppeln, indem sie die dortige Bevölkerung gemeinsam mit dem IS drangsalieren. Der Terrorexport von Deutschland nach Syrien ist momentan viel größer als in umgekehrter Richtung.
Hölzen: Noch etwas: Es hat Jahrhunderte gebraucht, bis unsere säkulare Gesellschaft sich von religiösen Fesseln befreit und die Kirche anerkannt hat, dass wir selbst bestimmen, was wir glauben und wie wir leben. Im Moment sehe ich aber, wie der Westen vor dem Druck islamischer Deutungshoheit einknickt und z.T. ein ungeheurer Aufwand betrieben wird, um religiösen Ideen irgendwelche Nischen zu reservieren. Um es mit dem Philosophen Karl Popper zu sagen: „Wenn wir die unbeschränkte Toleranz auf die Intoleranz ausdehnen,… werden die Toleranten vernichtet und die Toleranz mit ihnen.“
Bösing: Damit setzt du Islam mit Intoleranz gleich, und das ist eine falsche Verallgemeinerung. Darf ich mal daran erinnern, dass die ganze Radikalisierung, die sich im Nahen Osten breit macht, ein Ergebnis der unsäglichen Interventionspolitik der vergangenen 20 Jahre ist? Der Westen hat den islamistischen Terror und das politische Chaos im Nahen Osten zum großen Teil selbst verursacht. Dass wir den Menschen, die darunter leiden, jetzt helfen, ist unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit!
Bojes: Da hast du Recht…
Hölzen: Ich habe nicht gesagt, der Islam schlechthin sei intolerant, sondern der konservative Islam, und der ist leider auf dem Vormarsch. Es sollte aber auch nachdenklich stimmen, dass es in islamisch geprägten Ländern fast ausschließlich keine Demokratie gibt. Und noch etwas: Wir sehen die Flüchtlingsthematik durch die rosarote wirtschaftliche Brille: Die demographische Schieflage werde ausgeglichen; die Rentenlücke werde gestopft usw. usf. Schön und gut, wenn‘s denn so kommt. Aber was bedeutet es für unseren gesellschaftlichen Konsens, wenn die Säkularität in die Defensive gerät? Nicht nur Salafisten, sondern auch Rechtsextreme werden davon profitieren und dann nähern wir uns allmählich Weimarer Verhältnissen an!
Bösing: Da spricht der Geschichtslehrer …
Bojes: Also, wenn ich mir mal eine Mittelposition erlauben darf, würde ich sagen: Wir müssen den Notleidenden helfen, aber auch offensiv für unsere Werte und für unsere Freiheit eintreten. Aber auch hier bei uns und nicht anderswo in der Welt: Der Westen muss endlich kapieren, dass er seine über Jahrhunderte entwickelten und erkämpften Vorstellungen von Demokratie anderen Kulturen nicht einfach aufdrücken kann, schon gar nicht mit Gewalt. Und wenn wir denn so etwas wie Entwicklungshilfe leisten, dann bitte so gezielt, dass es den Notleidenden zugutekommt und nicht den Tyrannen und Ausbeutern. Können wir uns darauf einigen?
Hölzen: Überwiegend ja, aber unsere Aufnahmekapazität und – bereitschaft ist begrenzt.
Bösing: Wenn du’s so sagst, Horst, da kann ich mitgehen.

Was bringt uns die Entlastungsstraße? Eine kleine Chronologie

Anmerkung: Dieser Beitrag stand bis einschl. 19.10.15 auf der Startseite.

2010: CDU und SPD geben im Stadtrat grünes Licht für den Bau der Entlastungsstraße. Bürgermeister Bartels unterzeichnet die Kreuzungsvereinbarung mit Bund und Bahn.

2011: Frank Hölzen, Vertreter von Wir FÜR Vechta im Stadtrat, wird bei mehreren Sitzungen niedergebrüllt, weil er die geplante Verkehrsführung kritisiert und gegen den Bau gerichtlich vorgeht. Bürgermeisterkandidat Gels bestreitet vehement, die geplante Verkehrsführung im kleinen Kreis ebenfalls skeptisch beurteilt zu haben. Herr Hölzen wird öffentlich beschimpft und erhält mehrere Drohbriefe.

2014: Eine nur dem Bauausschuss präsentierte Verkehrszählung vom Sommer 2013 zeigt, dass das Verkehrsaufkommen auf der Falkenrotter Straße gegenüber 2002 leicht gesunken ist auf ca.12.400 KFZ täglich. Ein Protokoll dieses Tagesordnungspunktes, obwohl von Herrn Hölzen mehrfach angemahnt, gibt es bis heute nicht. Somit wird aber die für das Jahr 2015 prognostizierte Verkehrsbelastung von knapp 20.000 Fahrzeugen bei Weitem nicht erreicht.

Juni 2015: CDU-Chef Dahlinghaus verkündet, dass bald jeder erkennen werde, dass die Entscheidung zum Bau der Entlastungsstraße die richtige war.

10. Juli 2015: Der OV-Kommentar feiert die Eröffnung der Entlastungsstraße Vechta West mit der Prognose, dass die Staus auf der Falkenrotter Straße ab sofort der Vergangenheit angehören. Ein Mitglied der Bürgerinitiative Vechta West hält ein Plakat mit der Aufschrift „Staugefahr“. Er wird belächelt.

Sa., 11.07.: Die ersten Neugierigen probieren die neue Straße gleich mal aus – es kommt zu einigen Rückstaus. Naja, das will noch nichts heißen.

Mo., 13.07.: An der Ampel des Kreisverkehrs östlich der Bahnlinie staut sich der Verkehr in beide Richtungen. Der Kreisverkehr selbst ist total verstopft. Der Mann mit dem Plakat fragt sich, warum eigentlich die Schilder nicht auf die neue Straße verweisen.

Di., 14.07.: Nach Korrektur der Ampelschaltung fließt der morgendliche Verkehr einigermaßen, dafür wiederholt sich das Chaos vom 13.07. am Nachmittag. Ach ja, die neuen Schilder fehlen! Die Stadtverwaltung bittet um Geduld. Moment, da war noch was: Der Schwerlastverkehr soll jetzt stadtauswärts die Rombergstraße benutzen. Das wussten die nicht. Der Rat auch nicht. Und die Anlieger der Rombergstraße? Die wussten das auch nicht. Upps …

Mi., 15.07.2015: Heute sind Schaltung und Beschilderung korrigiert. Das ganz große Chaos ist überstanden, aber es gibt häufige Stockungen an beiden Kreisverkehren, vor allem an der Ampel beim Ostkreisel. Hatte „der Hölzen“ nicht damals genau darauf aufmerksam gemacht? Früher stand man zweimal stündlich drei Minuten vor den geschlossenen Schranken. Heute sind die Verzögerungen unwesentlich kürzer, dafür aber über die gesamten Stoßzeiten verteilt. Und: Die Stockungen haben jetzt auch die Straße An der Gräfte erfasst.

Fr., 24.07.2015: Obwohl die Sommerferien mittlerweile begonnen haben und die Verkehrsbelastung somit geringer wird, staut sich der Verkehr zeitweise bis unter die Brücke des Trogs zurück.

Wie geht es weiter? Autofahrer sind kreative Menschen. Sie werden die Bahnübergänge Schweriner Straße und Paulus-Bastei als Ausweichstrecke entdecken und die Entlastungsstraße entlasten. Und was passiert nach der Schließung des Paulus-Bastei-Bahnübergangs? Die Nutzer dieser Querung werden sich dann auf die Entlastungsstraße konzentrieren und diese erst richtig verstopfen …

Hier finden Sie weitere Informationen zum Thema:

Wie die Mehrkosten für die Entlastungsstraße West verschleiert werden.

Wie die Mehrkosten für die Entlastungsstraße Vechta West einem Anwohner und der Wählerinitiative Wir FÜR Vechta in die Schuhe geschoben werden sollen.

Die Schönrechner

Wie die Mehrkosten für die Entlastungsstraße Vechta West verschleiert werden

Zugegeben, die Materie ist etwas kompliziert. Aber es lohnt sich trotzdem, diesen Artikel gründlich und bis zum Ende zu lesen. Wer das tut, wird sich fragen, warum sich die meisten Stadträte selbstzufrieden auf die Schulter klopfen, obwohl die Realität die ursprüngliche Finanzplanung längst überholt hat und der anfangs angenommene Eigenfinanzierungsanteil der Stadt sich – inzwischen auch offiziell eingeräumt – mehr als verfünffacht hat. Ein Lehrstück in Sachen Selbstbetrug, Schönrechnen und Augenwischerei. Versuchen wir einmal, den Wirrwarr und das Versagen der Politik zu klären:

Am Anfang stand eine gemeinsame Annahme der drei hauptsächlich an der Planung beteiligten Parteien, der Stadt Vechta, der Deutschen Bahn AG und des Bundes. Diese drei einigten sich auf eine sogenannte „Fiktivplanung“, nach der die Gesamtkosten der Entlastungsstraße sich auf knapp über 12 Millionen € belaufen würden. Jede Partei sollte ein Drittel der Kosten übernehmen, also ca. 4 Millionen. Die Stadt ging davon aus, dass sie noch Landeszuschüsse aus sogenannten GVFG-Mitteln (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz) für ihren Anteil erhalten würde, so dass am Ende 10,4 Mio. an Zuschüssen fließen und 1,6 Millionen aus eigener Tasche zu finanzieren sein würden.

Wie kam diese fiktive Summe von 12 Millionen zustande? Grundlage des Vertrags ist das sogenannte Eisenbahnkreuzungsgesetz, welches den Ersatz ebenerdiger Bahnkreuzungen durch höhenungleiche vorsieht, also Über- oder Unterführungen. Die Kosten werden zwischen Bahn, Bund und Kommune zu gleichen Teilen aufgeteilt. Nun kann eine Kommune aber nicht einfach drauflos planen, sondern muss den Grundsätzen sparsamer Haushaltsführung entsprechen. Also wurde die günstigste Planvariante zur Grundlage der Finanzierungsvereinbarung gemacht. Diese beruhte auf einer inzwischen überholten Streckenführung und einer einfachen Brücke über den Bahnkörper, entsprechend der ersten Pläne aus den Jahren 2002 bis 2004. Für diesen Bau hätten dann 12 Mio. € vermutlich sogar ausgereicht.

Bereits vor Vertragsabschluss aber waren zwei Dinge klar. Erstens: Aufgrund des Widerstands in der Bevölkerung und städtebaulicher Überlegungen kam eine solche „Hochstraße“ nicht in Frage, sondern musste eine aufwändigere Lösung einkalkuliert werden (Übrigens: Diese Variante hätte ein Wohngebiet zerschnitten und wäre an den Terrassen der Grundstücke zwischen August-Wegmann-Straße und Theodor-Tantzen-Straße entlanggeführt worden). Zweitens: Die Bahn würde die Schließung eines zweiten Bahnübergangs zusätzlich zur Falkenrotter Straße fordern und dabei die Paulus-Bastei favorisieren, denn der Unterhalt dieses Übergangs ist ziemlich kostenintensiv. Aufgrund des Versprechens, das die CDU den Bewohnern des Vechtaer Stadtwestens gegeben hatte (weiter bestehende Möglichkeit der Querung des Bahnübergangs), musste also auch dafür eine Ersatzlösung geschaffen werden. Jeder im Rat, der sich auch nur ansatzweise mit der Materie beschäftigt hatte, wusste also bereits lange vor der entscheidenden Abstimmung über die Kreuzungsvereinbarung eines haargenau: Die 12 Millionen sind nicht zu halten!
Schon in der Kreuzungsvereinbarung vom Mai 2010 war der Bau eines Trogbauwerks festgelegt und der Bau der Ersatzlösung an der Paulus-Bastei fiktiv mit einem Anteil von gut 18% einkalkuliert worden. Die Gesamtkosten dieser sogenannten „Ziellösung“ wurden auf 14,5 Mio. € geschätzt. Machte für die Stadt schon mal 2,5 Milionen zusätzlich, also insgesamt 4,1 Millionen. Anfang 2015 gab die Verwaltung gegenüber der Presse die Gesamtkosten mit etwa 17 Millionen € an. Damit hätte sich der städtische Eigenanteil noch einmal um 2,5 Millionen auf nunmehr 6,6 Millionen erhöht. Gegenüber dem Rat wurde aber bereits im Oktober 2014 die Zahl von 18,5 Millionen genannt.

grafik rechnung entlastungsstraße

Die Strategie ist klar: Die Wahrheit wird häppchenweise erzählt. Was noch fehlt, ist die endgültige Kostenrechnung, aktueller Stand 01.06.2015: 19,2 Millionen €. Die Endabrechnung wird laut Stadtverwaltung im Oktober bei voraussichtlich 19,6 Millionen € liegen, und zwar ohne die Kreisverkehre.

Solche Steigerungsraten sind für Projekte dieser Größenordnung durchaus nicht ungewöhnlich. Dumm nur, dass der gesamte zusätzliche Batzen sich nicht mehr auf die drei Beteiligten verteilt, sondern ausschließlich von der Stadt Vechta geschultert werden muss. Während die Gesamtkosten im Vergleich zur Fiktivplanung damit um „nur“ 57% stiegen, wuchs der Kostenanteil der Stadt auf 9,2 Millionen um satte 575%. Ursprünglich wurde der zu leistende städtische Eigenanteil vom CDU-Fraktionsvorsitzenden Dalinghaus in einer Ratssitzung als „Schnäppchen“ bezeichnet.

Woher rühren diese Kostensteigerungen? Sie seien laut Verwaltung unvorhersehbar gewesen. Hier nun ein Beispiel: Aufgrund der speziellen Grundwasserverhältnisse habe man über eine halbe Million € zusätzlich ausgeben müssen. Zumindest diese Tatsache war vorhersehbar, weil es sich hier um eine der nassesten Gegenden Vechtas handelt.

Spannend wäre es, die Höhe der Zusatz- und Ausgleichskosten im Zuge der notwendigen Grundstückstausche zu erfahren. Der dickste Brocken entfällt wohl auf die Überführung, welche die Zufahrt auf das Betriebsgelände der Firma Große Beilage anschließt. Sie verläuft parallel zu den Bahngleisen in Verlängerung der Gustav-Heinemann-Straße. Am aktuell diskutierten Bahnhofsumbau mit integrierter Anbindung der geplanten Überführung für Radfahrer und Fußgänger sollen sich ja Investoren beteiligen. Das klingt nett, ist aber auch geeignet, weitere Mehrkosten zu verschleiern.

Um die Jahreswende muss der Nachtragshaushalt beschlossen werden und dann werden die endgültigen Zahlen auf dem Tisch liegen. Wie lange können wir es uns leisten, Millionen von Euro ohne Sinn und Verstand in Stein und Asphalt zu gießen? Der altgriechische Philosoph Demokrit jedenfalls meinte, dass Ruhm und Reichtum ohne Verstand unsichere Besitztümer seien.